Sonntag, 17. März 2013

Der Götze Staat (I): Leviathan


Richard Kempkens (via Achse des Guten)

Der moderne Leviathan hat aber längst alle möglichen, buntscheckigen Funktionen verschlungen, die das jahrhundertelange Metier der Religion gewesen sind und strebt weiterhin eifersüchtig wie der alte Jahwe danach, alles in allem zu werden. Der Staat tritt den Menschen als die Vernunft des falschen Ganzen entgegen, ist speziell in seiner deutschen Erscheinungsform Gott, Kaiser und Papst in einem, wird flehend angerufen und wütend beschimpft, in zahllosen Litaneien, Predigten und Bußgebeten, die man Feuilleton, Gedenkansprache oder talk show nennt, in Prozessionen und Pilgerfahrten eingeklagt, die man als Demonstrationen und Aktionstage bezeichnet (...). Es wird immerzu sein wahres, noch nicht realisiertes Wesen beschworen, seine linken und rechten Anbeter zeihen sich gegenseitig der Häresie. Immer wieder erschallt die Notwendigkeit seiner Allgegenwart, die Dringlichkeit jeder seiner Ausweitungen noch tiefer in jede Person, jedes Kollektiv, jeden Raum hinein.


Jedesmal, wenn Deutsche jenes öffentliche “wir” blöken, das Mantra des ideellen Gesamtkapitalisten, beugen sich alle Knie vor dem allumfassenden, allgegenwärtigen, unbegrenzbaren Riesen aus Menschenleibern. Was bleibt von unserer Rente? Warum sollen wir Griechenland helfen? Wie sollen wir unsere Kinder erziehen? Warum sind wir immer der Zahlmeister? Und was sollen wir bloß mit den Juden machen? 
Noch in jeder Debatte führen die Deutschen wortreich vor, wie tief sie Luthers Forderung nach dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen verinnerlicht haben, wie sehr sich jeder dem Gemeinwohl verschrieben hat. Ein deutsches Argument ist immer eines nach dem besseren, gerechteren, keine moralische Lücke, keinen rechtsfreien Raum mehr bietenden Staat, nach völliger Übereinstimmung zwischen dem Staatsbürger und der Person, die man eben zufällig ist und die mit ihren anarchischen Bedürfnissen und Sehnsüchten störend und irritierend aus der zugewiesenen Rolle fällt und sogar Ideologiekritiker mit ihrer brisanten Unmittelbarkeit nervös macht. 
Deutsche Selbstfindungsrunden sind eifriges und kollektives Dünnbrettbohren zur Realisierung des ideellen Souveräns. Der deutsche Staat ist der unerreichbare Fluchtpunkt aller Appelle zur Selbstveredelung, ein in die Ewigkeit projizierter Dombau mit dem reinen, abstrakten Dienst um des Dienstes willen als Allerheiligstes, und jede Diskussion über die mangelnde Übereinstimmung zwischen Begriff und Sache, Anspruch und Wirklichkeit des Staates oszilliert zwischen den linken, rechten, reaktionären oder liberalen Fraktionen, um das Ganze weiter dem in der Verwertung wütenden Nichts anzugleichen. 

“Wir” beten also mit und ohne Konfessionsvermerk auf der Steuerkarte:

Unser Vater Staat der Du bist unser höchster Begriff,
Geheiligt sei Dein Name,
Dein Reich komme,
Dein politischer Gestaltungswille geschehe,
Wie im reinen Begriff, so auch im deinem Territorium.
Unsere tägliche Pension gibt uns heute,
Und vergib uns unseren Eigennutz,
So wie wir auch den Subjekten auf der anderen Seite der Elbe vergeben,
Und überfordere uns nicht mit Desillusionen,
Sondern verhindere, dass wir wieder Nazis werden.
Denn Dein ist die Vergangenheitsbewältigung, die Richtlinienkompetenz und das abstrakte Recht,
Von Koalition zu Koalition,
Amen.

Montag, 30. Januar 2012

Dieser Blog ist nicht mehr aktiv

Dieser Blog ist bis auf weiteres geschlossen.

Freundliche Grüsse, Orlando

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Orlandos Jahresrückblick

It was a very good year...


Ihnen, geschätzte Leser, allen ein gesegnetes Weihnachtsfest im Kreise ihrer Familien und Freunde, erholsame und freudenbringende Festtagszeit und die allerbesten Wünsche für das neue Jahr 2012.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Adieu, Evelyne!

Heute kann, ja: sollte, ja: muss, ein vier Jahre währender Irrtum in der Geschichte des Schweizer Bundesstaates beendet werden - dies ist der Auftrag eines Parlamentes, das in der Pflicht steht, heute morgen die Landesregierung zu wählen.

Es gibt mannigfaltige Definitionen der Regierungskonkordanz, wie sie in der Schweiz seit Ende der 50er Jahre praktiziert wird. Die grundlegenste und mehrheitsfähigste ist, dass alle relevanten politischen Kräfte an der Regierung beteiligt sein sollen. Was wir in den letzten Wochen von verschiedenen Parteien und Parlamentariern zum Thema lesen konnten, gibt einen bezeichnenden Eindruck davon ab, was man unter Konkordanz alles verstehen kann. Eines jedoch kann Konkordanz mit grosser Sicherheit nicht sein: Dass die mit 26,6% wählerstärkste Schweizerische Volkspartei mit nur einem Regierungssitz von sieben abgespeist wird und damit im gleichen kräftemässigen Anteil wie eine der kleinsten Politformationen (BDP, 5,5%) in der Landesregierung vertreten ist.


Wie ein solches Verhältnis legitimiert werde sollte - darauf wäre ich gespannt. In jedem Fall würde es bedeuten, dass ein Paradigmenwechsel in der Schweizerischen Politik Einzug hielte. Den freilich kein Politiker im Wahlkampf seinen Wählern erklärt hätte und dazu gestanden wäre. Keiner von jenen 244, die noch gestern Nacht ein Promille ihres Gehaltes von 120'000 Franken verfressen und versoffen haben und heute morgen eine neue Ära in der Geschichte der Schweiz einläuten, indem sie möglicherweise die bewährte Allparteien-Konkordanz beerdigen.

Es wäre ein weiterer Schritt zur Abschaffung der Schweiz von Innen. Und ein Name steht wie kein zweiter für den unmässigen Narzissmus, die Verantwortungslosigkeit und die Prinzipienlosigkeit und Unaufrichtigekeit der Politikerkaste schlechthin: Evelyne Widmer-Schlumpf. Dieser Name steht für das Überhandnehmen der grassierenden Willkür einer zunehmend vom Volk entfremdeten Classe Politique. Immer mehr wird die direkte Demokratie unterhöhlt, immer mehr wird das Land entgegen dem expliziten Willen seiner Bürger in internationale Institutionen integriert, immer mehr Entscheidungen werden in den Verwaltungen gefällt und umgesetzt.

Vor vier Jahren in einer Nacht- und-Nebel-Aktion hat Evelyne Widmer-Schlumpf sich vor vier Jahren als Intrigantin gegen ihre eigene Partei in den Bundesrat hieven lassen und hat dabei ihre Parteikollegen und die Öffentlichkeit hintergangen, hat dazu öffentlich gelogen und in scheinbar rücksichtslosem Machtrausch das System Schweiz in eine tiefe Krise gestürzt.

Kann sich die Schweiz soviel Willkür leisten? Ich bin der Ansicht: nein.

Es folgten vier Jahre der schlimmsten Krisen, die immer auch Führungskrisen waren: ein zerstrittener Bundesrat, aus dem Lot geratene Machtverhältnisse, schwere Niederlagen in Konfliktsituationen mit dem Ausland, schamlose Lüge, Orientierungs- und Hilflosigkeit. Ein ratloser Bundesrat.

Heute hat das neue Parlament die Chance, eine legitime weil breitmöglichst abgestützte Landesregierung zu wählen, die nicht durch ihren Bruch mit der grundlegendsten Begrifflichkeit von Konkordanz eine neue innenpolitische Krise verursacht, sondern zum Wohl des ganzen Landes in der bevorstehenden schwierigen Legislatur in Konkordanz regieren kann. Denn Konkordanz (lat. concordia, concordare = in Enklang sein, wobei corda = Herz).

Das Parlament muss dazu nur Evelyne Widmer-Schlumpf durch einen der beiden Kandidaten Hansjörg Walter oder Jean-Francois Rime ersetzen.

Manchmal ist doch Politik so einfach!

Sonntag, 4. Dezember 2011

Die Nebel lichten sich, und siehe da: die Konkordanz!

Also, die politische Lage nach den Wahlen 2011 ist jetzt (nach dem letzten kantonalen Wahlgang am 4. Dezember 2011) eindeutig und klar.
Bruno Zuppiger: Er vertritt die Wahlsieger
Die Schweizerische Volkspartei SVP ist klar Wahlsiegerin. Daran gibt es nichts zu rütteln und zu deuteln. Die Volkspartei hat mit über 26 % den grössten Stimmenanteil und stellt mit 60 Parlamentariern die grösste Fraktion in der Vereinigten Bundesversammlung. Mit fast zehn Prozentpunkten Rückstand folgt die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, auf den Plätzen drei und vier folgen die arg gebeutelten bürgerlichen Parteien CVP und FDP. Mit Anteilen von unter 10 % folgen parteipolitische Kleinformationen wie die Grünen, die Grünliberalen, die Evangelische Volkspartei, die Bürgerlich Demokratischen, die Lega dei Ticinesi und weitere Splittergruppen. Kommunisten und Christlich-Konservative sind gar nicht mehr vertreten.
In der Schweiz pflegt man seit 1959 erfolgreich die Regierungsform der Konkordanz zwischen den vier stärksten Parteien, wobei die drei stärksten Parteien je zwei und die nächstkleinere Partei einen Sitz in der siebenköpfigen Regierung stellt.

Möglichkeit einer vernünftigen Wahl: Jean-Francois Rime
Es handelt sich um eine Art vernünftige, grosse Koalition, die dem Land seit vier Jahrzehnten Stabilität, Wachstum, Wohlstand und damit eine beispiellose Sonderstellung weltweit verliehen hat. Und es sei gesagt: Wir dürfen froh und auch ein bisschen stolz sein auf das, was unsere Vorgeneration, und jene vor ihr bewerkstelligt hat. Wir alle sind direkt oder indirekt Nutzniesser einer einzigartigen internationalen aber auch intern-Schweizerischen Situation, die uns diesen hohen - vor allem im Vergleich zu unseren Nachbarvölkern und darüber hinaus zu den meisten westlichen Demokratien - Lebensstandard in praktisch allen Bereichen ermöglicht.

Am Mittwoch, 14. Dezember stehen Gesamterneuerungswahlen im Bundesrat an, unserer Landesregierung. Jawohl, denn seit 2003 wird die Regierung in diesem Lande nicht mehr einfach still bestätigt, sondern die Wahlen sind zu einem Politikum geworden, wo frisch nach der Wahl das ganze System der Schweizer Regierung neu erfunden wird. Damit ist die Schweiz zur hundsgewöhnlichen Demokratie geworden, wie es jede andere hundsgewöhnliche Demokratie schon immer war: Die stärksten Kräfte nehmen gemeinsam die Verantwortung wahr und bilden die Regierung.
Ein übler Störfaktor: Evelyne Widmer-Schlumpf
Die Wahlgewinnerin, die Volkspartei schlägt zwei Kandidaten vor. Sie heissen Bruno Zuppiger und Jean-Francois Rime. Das Parlament der Schweizerischen Eidgenossenschaft wählt also einen von den beiden, an die Seite des bereits amtierenden Bundesrates der SVP, Ueli Maurer. Oder?

Die anderen zur Wahl stehenden Bundesräte und Bundesrätinnen kommen ja aus den nachfolgend wählerstärksten Parteien, der SP, der FDP und der CVP. Evelyne Widmer-Schlumpf ist als Vertreterin einer nach den Wahlen nur knapp über 5 %-Partei ein Störfaktor. Und entspricht nicht der Idee der Schweizerischen Konkordanz. Also muss man sie mit entweder Zuppiger oder Rime ersetzen. Oder?

Oder denke ich komplett falsch?

Montag, 24. Oktober 2011

Vorläufiges Endresultat

Nicht die Mitte steht heute als Verliererin da. Die SVP verliert 3%, das siamesische Zwillingspaar SP/Grüne verliert 3,1%. Rotgrün und die Rechtsbürgerlichen haben von den Stimmbürgern und Stimmbürgerinnen deutlich die Grenzen aufgezeigt gekriegt.

Ein Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn sagte zu mir heute: "Ich weiss nicht, ob wir Linken uns über die Verluste der FDP allzusehr freuen sollten. Nicht, wenn wir uns ansehen, wer die Liberalen beerbt...".

Wer beerbt die erodierende traditionelle Mitte? Wer sind diese orientierungs- und kompasslosen, ohne jegliches weltanschauliche oder politphilosophische Fundament in postmoderner Beliebigkeit vor sich hinspontisierenden "Neuen Mitteparteien", die das in Städten und Agglos lebende Dummvolk für vertrauenswürdig genug empfinden, die Geschicke dieses Landes in diesen schwierigen kommenden Jahren zu führen? Wer sind diese aus dem sprichwörtlichen Nichts kommenden Gutmenschen, die in jedes 20-Minuten-Kamerächen und jedes Radio24-Mikrofönchen etwas von "lösungsorientierter Politik der Mitte, "Solarpanels" und "Nachhaltiger Energiepolitik" faseln?

Und wer wählt solche Gummimenschen mit Gummimeinungen mit Duzendgesichtern und hübschen Deux-Pièces, die aussehen, wie Jessica und Kevin Normalverbraucher auch gern aussehen würden: Wie das Personal in belanglosen US-Vorabendserien. In diesem Schönheitswettbewerb haben die Geschmeidigen, die mit dem netten Äusseren, die Glatten, Lieben, Braven natürlich gute Chancen. Es erinnert ein wenig an diesen Film The Stepford Wives.

Jedenfalls bessere, als Politiker, die zwei, drei Schritte weiterdenken und Probleme ansprechen, solche mit Ecken und Kanten, die erkennen, dass es kein Rezept sein kann, einander nur bloss nicht weh zu tun in der Politik.
Stepford Wifes? Ein neuer Politikertyp, jung, adrett, diffus.
Ein neuer Politikertyp scheint gefragt, der niemandem weh tut, der vor Aktivismus und oberstupiden Ideen nur so überschäumt, wie gewisse Warenpostenunternehmer.

Gewonnen haben heute die S-Bahn-Bürger, die mit den riesigen Kopfhörern am Ohr, die gerade entweder auf Facebook oder am Youtube-Musikvideos am Betrachten sind, die ihre Hauptinformation über die Welt, in der sie leben, aus dem Blick am Abend beziehen. Und aus Facebook. Wo stümperhafte Journalisten eine gigantische Unterhaltungs- und Informationsberieselungsmaschinerie in Gang halten und wo politische Themen in dekadentem Zynismus entweder auf Realschülerniveau oder auf Textmessage-Format eingekocht werden. Und selbst seriöse Medien so etwas wie eine Hofschranzen-Berichterstattung liefern und völlig vergessen, als vierte Gewalt im Staat zu funktionieren und Regierung, Behörden und das Parlament zu kontrollieren und kritisch zu hinterfragen. Kritisch hinterfragt wird nur die SVP. Das muss reichen.

Zugunsten einer Konsumentenmentalität in der Politik. Perfekte Projektion des eigenen Unvermögens und Desinteresses auf die gewählten Politiker. Und das Schlimme dabei: Nach vier Jahren Stillhalten im Parlament (Tiana Moser) werden diese Fratzen wiedergewählt, weil sie immer noch "jung und unverbraucht" sind.
Jung und unverbraucht: Tiana Moser hat vier Jahre lang erfolgreich stillgehalten.
Und gewonnen haben die Meinungsbeeinflusser, die glauben, man könne alles auf eine lächerliche Smartvote-Spider-Matrix pressen, was an über Politik zu wissen braucht. Als gälte es - wie bei Parship, wo diese Menschen Parner suchen - eine möglichst grosse Übereinstimmung in allen Punkten zu finden. Was für eine Beziehung schnarch ist, kann für die Politik ja wohl kaum funktionieren, oder? Logisch werden dann eben jene Politiker ein Match, die möglichst die Bandbreite abdecken, aber ja nicht wirklich ausschlagen, nach irgend einer Richtung. So bleibt alles im Unverbindlichen, Vagen, Oberflächlichen.
Ungerichteter Aktionismus für Politikkonsumenten - Otto Ineichen
Nehmen wir zum Beisiel der Aargau, dieses Soziallabor der urban-ländlichen Aggloschweiz mit (bösen) Autobahnen und (abzustellenden) AKWs. Dass dort eine Pascale Bruderer ohne jeglichen Leistungsausweis zur Ständerätin gewählt wird, ist ein deutliches Symptom für eine ernstzunehmende Krise im politischen Denken und Handeln der Citoyens: Die fleischgewordene Gutmenschin mit Augenaufschlag, aparten Kleidchen, einem politischen Profil, wo für jeden e chli öppis dabei ist, wie eine Pralinenschachtel. Self-Service. Kindertagesplätze sind auch dabei. Das ist doch sozial, oder?

Verhältnis zu Europa, Energiepolitik, Sozialwerke, Einwanderung, Wirtschaftsentwicklung, Verkehr, Bildung - die neuen Bürger wollen von all diesen schwierigen Fragestellungen verschont bleiben und in ihrer Blase leben, wo man es einer "Neuen Mitte" mit diffusen Haltungen, Überzeugungen und Prinzipien überträgt, das Land zu führen. Damit man mehr Zeit hat, (subventionierte) Solarpanels aufs Dach zu schrauben, Facebookfreunde zu sammeln, Youtube-Filmli anzusehen, geile Klamotten einzukaufen und in den Ausgang zu gehen. Oder an "Events". Das Wichtigste ist, dass man cool aussieht, wenn man an der Bar rumsteht. 20-Minuten-cool.

Offenbar spüren die Menschen nur mehr sich selbst unter ihren Kopfhörern. Die Rechte wie die Linke hat es verpasst, glaubhaft zu machen, dass schwierige, grundsätzliche Entscheidungen anstehen. 

Es könnte ungemütlich werden, wenn diese Leute aus ihrer Bubble erwachen und in der Realität ankommen.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Die Abwahl - ein undemokratisches Komplott

Heute empfehle ich einen ausgezeichneten Dokumentarfilm von Hansjörg Zumstein aus dem Jahre 2008.

Blutrünstig, wie ein Krieger in einem antiken Drama lässt sich der ehemalige Bundesratskandidat Luc Recordon (Grüne/VD) am Morgen des 12. Dezember 2007, kurz vor der folgenschweren Abwahl von Christoph Blocher aus dem Amt vernehmen:

"Sind Sie denn jetzt noch Kandidat oder nicht?" - "Nein, nein. Denn wir haben nun die Sicherheit, dass Madame Widmer-Schlumpf von der SVP Graubünden eine Wahl annehmen würde. Meine Kandidatur war wie ein Schild. Und das Schild soll im letzten Moment hochgerissen werden und das Schwert soll hervorschnellen. Frau Widmer-Schlumpf ist das Schwert."

So martialisch war das Geschehen unter der Bundehauskuppel selten. Vielleicht gab es in den vergangenen 150 Jahren keine so kriegerische Situation in der Schweizer Geschichte. Der FDP-Präsident sagte dazu:

"Normalerweise sollte die Demokratie nicht so funktionieren. Ein Geheimplan zur Abwahl eines Bundesrates gab es in der Geschichte der Schweiz nie!" (Fulvio Pelli)



"Das muss man sehr diskret machen. Wenn es publik geworden wäre, dann hätten wir ein Riesenproblem gehabt - es wäre nie zustandegekommen." (Christophe Darbellay)

"Wir wussten nach dem 22.November, dass wir nicht mehr aktiv nach Alternativen (zu Eveline Widmer-Schlumpf) suchen mussten. Das teilten wir der CVP-Fraktionsspitze im engen Kreis mit, damit sie es vorbereiten konnten, aber ohne, dass das bereits in der Sonntagspresse vor der Wahl breit diskutiert werden würde." (Ursula Wyss)

An der Medienöffentlichkeit vorbei: SP-Fraktionschefin Ursula Wyss.
"Von Eveline Widmer-Schlumpf bis Ueli Maurer habe ich heute Abend einige Namen gehört. Aber von all denen wird keiner die Wahl annehmen, weil unser einziger und offizieller Kandidat Christoph Blocher ist." (Maximilian Reimann, 11. Dez. 2007) 

"Sie hat mich in eine Sitzung angerufen und ich sagte ihr, sie habe morgen reelle Wahlchancen. Sie entgegnete, ich müsse überhaupt keine Angst haben und versicherte, sie würde dieses Amt nicht annehmen." (Ueli Maurer, über den Abend des 11. Dez. 2007)

Parlamentarisches Komplott: Christoph Blocher.

Die Verschwörer haben 2007 klandestin und unter gezielter Irreführung der Öffentlichkeit die Regeln in der Schweizerischen Politik neu definiert. Was vor vier Jahren geschehen ist muss und wird korrigiert werden!

Geheimpläne und vorsätzliche Irreführung der Medien und der Öffentlichkeit: Was wenn nicht das ist denn undemokratisch, bitteschön? - Setzen wir ein Zeichen gegen die unheimlichen (Anti-)Demokraten!

War der erste Sündenfall - die Abwahl Ruth Metzlers aus der Landesregierung im Jahre 2003 - noch absolut transparent, wochenlang im Voraus bekannt und medial von Anfang an begleitet, und überdies aufgrund von dramatischen Gewichtsverschiebungen zuungunsten ihrer Partei innerhalb des Konkordanzsystems legitimiert und vollzogen worden, so brauchte es vier Jahre später eine veritable Nacht-und-Nebel-Verschwörung, eine Ranküne, die von ganz niederen, neidgenährten Instinkten geleitet war, um den erfolgreichen und im Volk beliebten Bundesrat Christoph Blocher aus dem Amt zu putschen. Ganz knapp ist es den damaligen Wahlverlierern am 12. Dezember 2007 gelungen, den wohl herausragendsten und visionärsten lebenden Politiker der Schweiz wegzumobben und durch eine völlig unbekannte, machtgeile, willige Intrigantin zu ersetzen. Und damit wurde das politische Klima in der Schweiz auf lange Zeit hinaus vergiftet.

Gift kennen wir aus der Politik des dunkelsten Mittelalters, aus Shakespeares Dramen, noch 2005 wurde in der Ukraine der Volksheld Juschtschenko von seinen politischen Gegnern vergiftet. In der Schweiz sind wir offenbar nicht viel weiter.

Nun denn, der giftige Stachel sitzt tief und wird viele Wähler auch vier Jahre später mobilisieren. Daran besteht kein Zweifel. Es gilt, vergangenes Unrecht zu korrigieren. Und die Konkordanz wiederherzustellen!

Die Schande von 2007 wird gesühnt werden! Die bürgerliche Schweiz muss sich aus dieser Umklammerung von defätistischem, linkem Ungeist und dekadent-zeitgeistiger Beliebigkeit befreien und eine Restauration bürgerlicher, rechtschaffener, freisinniger und abendländisch-christlicher, in der Tradition des Landes und des Volkes verwurzelter und nach wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Fortschritt for the biggest number trachtender Tugenden vorantreiben.

Dieser Restauration steht nun nichts mehr im Wege. Sie haben es in der Hand. Gehen Sie wählen!

"Ich habe in einer Rede vor der Fraktion um 7 Uhr (am 12. 12. 07) erstmals den Namen Widmer-Schlumpf empfohlen -- und gezeigt, wie man das schreibt" (Christophe Darbellay)

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Nachtrag zu: Auf ganz heiklem Terrain

Heute wurde das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich im Fall Regensdorf gefällt.

Montag, 17. Oktober 2011

Wie Rehe im Scheinwerferlicht

Der Wahlkampf sei langweilig.
Die Akteure scheinen sich tatsächlich grauenhaft zurückzuhalten, wie so oft in der Schweizer Politik und Gesellschaft ist Moderation der Konsens. Keiner will was falsch machen. Kein Wunder, sage ich.
Wenn sich wer hervortut und die Dinge beim Namen nennt, ist er ein "rechter Polteri", was dann "unschweizerisch" ist und das politische Klima "vergiftet". Oder ein "Politclown", der dem heiligen Geschäft der grauen Konsenspolitik nicht wirklich gewachsen ist und ergo nicht ernst genommen werden braucht.
Wer sich im Wahlkampf also nicht bieder lächelnd zurückhält, verstösst gegen den CH-Konsens von Demokratie, bei dem es nicht darum geht, dem Wähler transparent und ehrlich seine politische Positionen darzulegen, sondern sich bei ihm einzuschmeicheln als geschmeidiges Chamäleon, das dann schon richtig entscheidet (nach welchen Kriterien?) in SACHFRAGEN. Richtungswahlen? Iwo? Wie unschweizerisch!

Konkordanz-, Konsens- und Sachfragentauglichkeit scheint gefragt in der Schweiz - nicht das, wofür ein Volksvertreter von seinen Wählern eigentlich gewählt werden sollte: Berechenbarkeit, klare Prinzipien, Verlässlichkeit, deutliches Profil. Nein, Geschmeidigkeit und unverbindliche Zeitgeistigkeit scheinen die Fähigkeiten zu sein, die Kandidaten im Wahlkampf 2011 bei sich selber betonen.

Biederes Gegrinse - die Akteure halten sich brutal zurück.
Unser aller Tagimagi-Tussi/"Schwanzlutscherin"/Starautorin/Neofeministin/Neomami/etc (in exakt dieser chronologischen Reihenfolge) Michele Roten hat sich in der letzten Ausgabe ihres Publikatiönchens über Wahlplakate ausgelassen. Den Link mag ich gar nicht heraussuchen. Sie befand, die einzigen, die aussähen, als hätten sie noch ein "Leben neben der Politik" seien die Sozis. Das deckt sich nicht ganz mit meiner Wahrnehmung. Aber der Reihe nach!

Wahlplakate sind so öde und steif, wie der Wahlkampf beschrieben wurde (siehe oben); dem überlebensgrossen Grinsgesicht wird sogar die stringente Botschaft geopfert. Am herzigsten sind wie immer die CVPler und EVPler: Sie blicken ins Kameraobjektiv, als wäre es ein Neugeborenes und man hebt förmlich die Augenbrauen und will JÖÖÖÖ rufen. So unschuldig, so lieb, so brav. Brav sind auch die lieben Genossen: die Männer schauen drein als hätten sie permanent Angst davor, bei einem politisch inkorrekten Gedankenverbrechen ertappt zu werden oder einer Genossin das Scheinwerferlicht zu rauben. S'sind eifach Liebi! Wie Rehe, die auf der Waldstrasse nächtens ins Scheinwerferlicht geraten. Ihre Schnäuze und modischen Brillen und neckischen Dreitagebärte täuschen mich (im Gegensatz zu Roten) nicht: Hässliche, steife SP-Frauen, schwache, steife SP-Männer. Wie heisst eigentlich deren Zürcher Ständeratskandidat? Eine versteifte neue Klein-Bourgeoisie. Die neuen überkorrekten Quartier-Spiesser wählen SP. Oder grün. Weil die für Velowege sind. Mit Helmpflicht.
Bei den EDU-Leuten hat Roten recht: man blickt in ernste Mehrzweckhallengesichter, Sonntagmorgen, evangelikaler Gottesdienst, noch das Lächeln ist irgendwie eine Qual. Dagegen wirken die Grünen fast munter; stilisiert ungepflegt und schreckschraubig. Das Glättli-Bubi möchte man mal am Morgen so richtig brutal anrempeln in der S-Bahn! Leider fährt der Velo. Mit Helm.
Über die Mikroparteien BDP und GLP mag ich weder Zeit noch Gedanken verschwenden.
Dann kommen die Bürgerlichen: FDP - hä? War da was? Das knackige Hardliner-Vollweib Doris Fiala ist von Orlando gewählt (am liebsten Nationalratspräsidentin auf Lebenszeit! lechz! - aus Liebe zur Schweiz), der professorale Gutzi-Futzi...mal sehen. Sonst ist das eine Versammlung von Langeweilern, tschuldigung!
Bei der SVP schauen sowieso immer alle drein, als hätte der Fotograf einen dreckigen Witz (so einen richtig frauen- oder fremdenfeindlichen) erzählt. Wenn sich die mal locker geben und als Schwinger posieren muss sich sofort der Schwingerverband von der "Vereinnahmung" distanzieren - kein Wunder ist der Wahlkampf so öde, arme Schweiz! Bei der Volkspartei bezaubert allenfalls der Eiskalte Blonde Engel aus Winterthur: Nathalie Rickli könnte ohne weiteres die Film-Bösewichtin mimen: "Ich wott nüt weniger als d'Wältherrschaft, Herr Bond, muah-ah-ah-ah!"

Plakatvandalismus überall - arme Schweiz!
Derweil regen mich als täglichen HB-Benutzer die flächendeckenden SVP-Plakate langsam auf. W*t*f*? Gegen das elegante Blocher-Ständeratsplakat habe ich nichts, obwohl es keinen Bezug zur Partei aufweist. Aber die stramme Choreografie von alternierenden Masseneinwanderungsstopp- und SchweizerwählenSVPplakaten im HB Züri findet sogar der ach so unzimperliche Orlando zuviel des Guten! So stellt er sich Propaganda in Diktaturen vor. Wie kann das die SBB zulassen (oder die APG)? Das ist idiotisch.


Wen Orlando wählt und warum: das gibts demnächst hier auf diesem Kanal. Stay tuned.

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Auf ganz heiklem Terrain

Vor Wochen tobte der Streit um das Scheusal Hirschmann und den Zweifeln in wenigstens einem Fall von Nötigung, der dem Millionenerben und Clubbesitzer zur Last gelegt wurde. In einem anderen Urteil mit offenbar vollkommenst anderem Sachverhalt unter natürlich ganz anderen (umgekehrten) Vorzeichen und in einem natürlich völlig anderen Kontext und ganz und gar anders gelagerter Konstellation kommen die Richter zu einem doch recht verblüffenden Urteil.


Die Täter, drei an der Zahl, werden freigesprochen. Und das Opfer? Lügte es?


Und es tobt gar nichts. Tote Hose.

Und dies, obwohl es in diesem Fall in Form von Videoaufzeichnungen sogar Beweismaterial gab!


Und was jetzt?

Ist den Richtern nicht zu trauen? Oder nur diesen Richtern nicht?
Liegen die Staatsanwälte so daneben? Sind die Verteidiger so mies/so fantastisch?
Und was ist mit den Gutachtern und PsychologInnen und anderen Experten?
Zur Hölle, was ist mit diesem Rechtssystem los?

Mein Vorschlag: Wiedereinführung der Geschworenengerichte, aber subito!